Der Komponist Claude Lefebvre hat seine Wurzeln
in „Pas de Calais“ und er wohnt seit vielen Jahren in Lothringen und sitzt
damit weiterhin quasi auf der Grenze. Aus dieser grenzüberschreitenden Lage
hat er auch kompositorisches Kapital geschlagen….
Er war Schüler von Darius Milhaud und Pierre Boulez, und mit letzterem kommt
rasch der Brückenschlag nach Deutschland, zu Darmstadt und den Errungenschaften
der seriellen Musik, die den jungen Lefebvre faszinierten ebenso wie die
Klangfeld-Stücke eines Ligeti, wie in Lefebvres Orchesterwerk Durchdringen der Nacht’ aus dem Jahre 1975.
Und nicht zu vergessen : die noch junge elektroakustische Kunst,
die seiner kreativen „Phantasie der Nuancen“ entgegenkommt, die ihm hilft,
Klangräume oft sehr intim und fein auszuleuchten. Er beginnt das Kalkül in seine
Musik einzubeziehen, aber das Strukturelle, die kompositorische Strenge steht bei ihm
immer und ganz und gar im Dienst der musikalischen Poesie.
Und das darf man bei ihm getrost so deutlich sagen und machen.
Claude Lefebvre ist nämlich auch Dichter, und Poesie und Musik fließen bei ihm aus einem Strom.
Wichtiger als die sich entwickelnde Phrase ist für ihn die Farbe, noch genauer, die sich entwickelnde Färbung. Lefebvre arbeitet immer am Klang und generiert Farbe wie bei der Schaffung von Sprache mit Silben und phonetischen
Gebilden. Er ist ein Dichter an der Partitur. Aber er generiert –
und das mag er bei den Stockhausens und Nonos abgeschaut haben,
aber auch die den Weberns – seine Stücke quasi von einem Nullpunkt aus.
‘Mosella’, ein Stück für Orgel, 2 Trompeten und Tonband scheint zu Beginn quasi im Bauch der Erde Gestalt anzunehmen. Das Stück beginnt irgendwie „unterirdisch“ mit dem Rauschen und Stöhnen im Erdinnern. Dann kommt das Gedicht von Ausone in lateinischer Sprache und es folgt ein Orgelintermezzo als eine Art Scherzo, als eine Buffoarie für die Königin der Instrumente, es folgt Musik, die den Schalk im Nacken hat, die sich vor Lebenslust gelegentlich fast überschlägt; ein Orgelpart, der Reden hält, sich sofort wieder in Frage stellt und den Klang des Stückes auf den Weg bringt. Die Trompeten allerdings gebieten Ernst, und evozieren fast einen religiösen Touch.
Dann kommt eine Mädchenstimme mit der französischen Version des Gedichtes von Ausone und die Klänge werden strikter und männlicher.
Am Schluß allerdings wird das Stück wieder ernst und besinnlich. Ausone der lateinische Dichter des 4. Jahrhunderts hat die Mosel beschrieben, stromaufwärts von Bingen bis Trier, Lefebvre scheint genau in dieser Richtung zu komponieren.
Wenn das Stück zu Ende ist, könnte der Anlegesteg im katholischen Trier stehen.
Auch ein anderes Stück ‘cor(ps) a cor(ps) ‘ beginnt vom Nullpunkt. Wie wabernd steigt man in dieses Stück ein und die Dramaturgie erinnert an Haydns „Vorstellung der Welt als Chaos“. Es ist , eine fremde, ferne, unzugängliche Welt, die sich tönend und tönernd aufbaut bis die Hörner
zu Leitsternen werden, aus deren metallischem Klang sich ein Geschehen entwickelt,
eng an imaginären Vorgaben, aber dann sich befreiend. Das Stück wird erzählt in Episoden – typisch für Lefebvre . Die Hörner als Herolde gibt es durchaus, aber auch den Botschaften werden — accellerierend und steigend –
neue Dimensionen, Lachen und Streitgespräch. Ein Stück das schließlich reine Klangpoesie ist und sich in schönstem Wohlgefallen auflöst (selten in der Neuen Musik).
Lefebvre selbst bringt dieses Stück mit der „Zeit“ in Verbindung „…plötzlich durchdringt der Blitz der hohen Töne das Kleid der Zeit, die entflieht. Das Kleid der Zeit ist die Partitur.
Wieder eröffnet in der ‘Musique pour René Char’ ein Horn das Geschehen, diesmal aber erfolgt ein ganz anderer selbstbewusster Einstieg in das Stück, dem offenbar eine Geschichte vorausging, eine Geschichte, die das Horn erzählt; etwas atemlos zunächst, dann mit einem fließenden Erzählstrom…
bis die Musik später mehr in die Innerlichkeit verfällt oder sich auch entäußert
in Exaltation.
„Ich glaube an die Magie und die Autorität der Worte“, hat René Char einmal gesagt. Ich bin überzeugt, Claude Lefebvre würde das selbe über die Musik
sagen. Denn seine Musik kann magische Welten erwecken,
sie hat aber auch die Kraft einer Autorität.
Musikwissenschaftler/